„Ein Staat zerfällt und alle schauen weg“ – so lautete der provokante Titel des Vortrags, den Professor Andreas Dittmann an der Wetzlarer Goetheschule hielt. Rund 100 Zuhörer waren in die Aula des Wetzlarer Oberstufengymnasiums gekommen, um den Vortrag des studierten Geographen, Ethnologen und Afrikanisten zu folgen.

 

Andreas Dittmann unterrichtete 20 Jahre an der Universität Bonn und seit 2007 an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, wo er den Bereich „Anthropogeographie und Geografische Entwicklungsforschung“ leitet. Seine Spezialgebiete sind die Entwicklungs- und Konfliktforschung in Subsahara-Afrika, Afghanistan, dem Nahen Osten und Nordafrika.

 

In seinem Vortrag an der Goetheschule beleuchtete er die jüngsten Entwicklungen in Libyen und die Rolle der westlichen Partner des nordafrikanischen Staates. Die Bedeutung Libyens liege derzeit weniger in dessen Ölvorkommen, als in Libyens Rolle bei der Abwehr von Migration nach Europa. Dazu sei ein intaktes Staatsgebilde notwendig, das derzeit jedoch nicht existiere. Ein Teil des Staates werde von Muslimbrüdern und dem offiziell anerkannten Präsidenten al Sarradsch geleitet, der weitaus größte Teil des Staates stehe aber unter Kontrolle General Chalifa Haftars, der unter anderem von Frankreich, Russland und Saudi Arabien Unterstützung erhalte. Zudem beherrschten Warlords und Milizen die Szene, so dass ein autorisierter Ansprechpartner für Europa fehle.

Dittmann, der Libyen seit 40 Jahren gut kennt – seit er sich bei einem Straßenbau-Projekt in der Sahara Geld für sein Studium verdiente – erwähnte aber auch, dass ausländisches Interesse an den libyschen Ölvorkommen zusätzlich zur Zerrissenheit des Landes beitrage und Befürchtungen bestehen, dass das Land dauerhaft in zwei Teile zerfällt. Deutschland könne bei der Vermittlung zwischen den Parteien eine zentrale Rolle als „ehrlicher Makler“ zukommen, da es sich etwa 2011 nicht an der militärischen Intervention gegen den nordafrikanischen Staat beteiligt hatte.

Der Gießener Geographie-Professor ging im Verlauf seines Vortrags vor allem der Frage nach, wie Entwicklungspolitik in Libyen erfolgreich gestaltet werden kann und welche Verantwortung dabei den ehemaligen Kolonialmächten zukommt. Er betonte, welche Herausforderungen zukünftige Regierungen zu bewältigen hätten – etwa den wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Lösung des Wasserproblems oder die Einrichtung eines funktionierenden Bildungssystems.

Die Veranstaltung war der zweite Teil einer Vortragsreihe zu verschiedenen globalen und gesellschaftlich relevanten Themen an der Goetheschule. Den Auftakt hatte Prof. Dr. Hans-Georg Frede mit seinem Vortrag „Ohne Wasser kein Leben“ gemacht. Grundsätzlich ist es Wunsch und Ziel der Goetheschule, weitere hochkarätige Referenten an Wetzlars Oberstufengymnasium zu holen, sobald es die Situation wieder zulässt.

 

 

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