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Ted Rosenthal spielt zur Enthüllung der Gedenktafel für seinen Vater Was als Schulprojekt im Geschichtsunterricht begann gipfelte nun in einer ganz besonderen Veranstaltung in der Aula der Goetheschule. Hier gab der bekannte amerikanische Jazz-Pianist und Komponist Ted Rosenthal ein Konzert anlässlich der Enthüllung einer weiteren Gedenktafel an Wetzlars Oberstufengymnasium. Die Tafel erinnert an Teds Vater Erich sowie an dessen Cousin Ernst Rosenthal und Hans Stern. Alle drei waren Schüler der Wetzlarer Goetheschule, alle drei wurden auf verschiedene Weise Opfer des Nationalsozialismus. |
Im Leistungskurs Geschichte waren Lotte Heintz, Charlotte Hellhund, Lily Jestram, Emma Küthe, Tara Schmidt, Till Schäfer und Adrian Keller dem Schicksal der ehemaligen Goetheschüler während der Zeit des Nationalsozialismus nachgegangen, hatten Archive durchforscht und Akten gewälzt. Dabei entdeckten sie, dass Erich einen Sohn, Ted, hatte und beschlossen Kontakt zu ihm aufzunehmen. Ted Rosenthal zeigte sich gleichermaßen überrascht und erfreut über den Kontakt zu den Wetzlarer Schülerinnen und Schülern und unterstützte ihre Arbeit durch Email- und Telefongespräche aber auch, indem er ihnen Einsicht in die hinterlassenen Briefe seines Vaters gewährte.
Rosenthal war so angetan von der Arbeit der jungen Historiker, dass er sich nicht nur bereit erklärte zur Gedenktafelenthüllung Auszüge aus seiner Jazz-Oper „Dear Erich“ vorzutragen, die das Schicksal seines Vaters behandelt. Bereits am Vormittag traf er sich mit Schülerinnen und Schülern der Goetheschule, erzählte über die Geschichte seiner Familie und die Entstehung der Oper. Über das Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern sagte Ted Rosenthal selber, es gebe ihm Hoffnung zu erleben, wie aufmerksam, interessiert und engagiert die Teilnehmenden gewesen seien. Die Einladung sei für ihn eine große Freude gewesen.
Die Zeremonie zur Enthüllung der Gedenktafel fand in Anwesenheit zahlreicher Vertreter aus Politik, Schule und Kultur in der Aula der Goetheschule statt. Durchs Programm führte Kolina Schiek, ebenfalls Schülerin des Geschichts-Leistungskurses. Ernst Richter, Vorsitzender des Vereins „Wetzlar erinnert“, der die Errichtung der Gedenktafeln organisiert, sprach von einer ganz besonderen Enthüllungsveranstaltung der mittlerweile 21. Tafel zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Oper „Dear Erich“ sei eine großartige Form des aktiven Gedenkens und der Erinnerung, sagte Richter. Es sei den Schülerinnen und Schülern zu verdanken, dass diese in Auszügen nun an der Goetheschule zu hören sei.
Auch Schulleiterin Annette Kerkemeyer dankte den Schülerinnen und Schülern. Ihr Projekt habe beachtliche Kreise gezogen und werde „weit über den heutigen Tag hinaus wirken“. Sie betonte, dass Gedenken, Erinnern und Verantwortung übernehmen wichtige Aspekte im Profilbild der Goetheschule seien. Grußworte überbrachten ebenfalls der Erste Kreisbeigeordnete Frank Inderthal sowie Stadtrat Frank Kortz. Meinungs-, Berufs- und Religionsfreiheit seien in Deutschland lange als Selbstverständlichkeit angesehen worden, sagte Inderthal. Es stelle sich jedoch zunehmend die Frage was getan werden müsse, damit dies auch in Zukunft so bleibt. Kortz mahnte eindrücklich: „Hass schläft nie, deshalb müssen wir alle hellwach sein.“
Hauptakteure des Nachmittags waren dann natürlich Das „Ted Rosenthal Trio“ und die Schülerinnen und Schüler des Geschichte-Leistungskurses. Diese stellten den Anwesenden die Ergebnisse und Erkenntnisse vor, die sie im Laufe ihre Projektarbeit gewonnen hatten. Sie berichteten wie die seit 1933 zunehmend verschärften antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes zunächst die Bildungschancen der drei ehemaligen Goetheschüler Hans Stern sowie Erich und Ernst Rosenthal einschränkten und später deren Existenz bedrohten. Während Hans Stern nach Großbritannien und Erich Rosenthal in die USA emigrieren konnten, wurde Erichs Cousin Ernst 1942 im Vernichtungslager Lublin-Majdanek ermordet. Sie erzählten auch, wie durch das Projekt für sie ein lokaler Bezug zum Thema Deportation entstanden sei und wie aus abstrakten Zahlen plötzlich Menschen wurden. Dies gelang in bewegenden und eindringlichen Worten, etwa wenn es hieß: „Während unserer Recherchen waren wir so alt, wie Ernst nur werden sollte. 18 Jahre. Ein Alter, in dem man eigentlich noch alles vor sich haben sollte.“
Das „Ted Rosenthal Trio“ präsentierte dann ein Jazz-Konzert der Spitzenklasse, in dem hauptsächlich aber nicht ausschließlich Stücke aus der Jazz-Oper „Dear Erich“ zum Vortrag kamen, das 2019 an der New York City Opera uraufgeführt wurde. Auf sympathische, offene und authentische Art erzählte Ted Rosenthal von den Hintergründen der einzelnen Stücke und deren Bedeutung. Da ging es etwa in „Everything my father never told me“ um den Schmerz derjenigen, die den Holocaust überlebt haben, und die Schwierigkeit diesen Schmer zu teilen. In dem Stück „Always believe“, das am Ende der Oper zu „Always remember“ wird, geht es um die Wichtigkeit, Menschen und deren Schicksale nie zu vergessen. Gerade dieses Stück in Wetzlar zu spielen halte er für sehr angemessen, sagte Rosenthal, da die Stadt so engagiert sei, wenn es um Erinnerungskultur gehe.
Ein letztes Wort gehörte dann Dr. Thorsten Fuchs, dem Geschichtslehrer, der die Projektarbeit betreut hatte. Er sei sehr stolz auf das, was die Schülerinnen und Schüler geleistete haben, sagte er. Dies sei jedoch nicht nur ein Geschichtsprojekt, sondern eine Mahnung, „dass wir heute eine Entscheidung treffen müssen, wenn Menschen diskriminiert und ausgegrenzt werden.“