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Ein Chefarzt zu Besuch in der Goetheschule

Ob Grey’s Anantomy, Scrubs oder Dr. House: Arztserien sind bei vielen Menschen sehr beliebt. Doch hat der virtuelle Krankenhausbetrieb Einfluss auf die Zufriedenheit der Patienten in echten Krankenhäusern? Diese und einige weitere ethische Fragen stellten die Ethikkurse von Herrn Lesser und Herrn Kämpfer aus der Q1 sowie der Kurs von Herrn Kneipp aus der E-Phase am vergangenen Donnerstag.


 

Anlass war der Besuch des renommierten Chefarztes und Chirurgs aus Hünfeld, Dr. Dr. Kai Witzel, der einen höchst interessanten Vortrag über Medizinethik hielt und den Schülerinnen und Schülern einen Praxis-Blick hinter die Kulissen in Krankenhäusern verschaffte. Dank der „Forschungsbörse“, einer Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, konnte die Goetheschule den Wissenschaftler direkt in den Unterricht einladen. Eine Kooperation, die weiter ausgebaut werden wird.

Zu Beginn des Vortrags erzählte Dr. Witzel einiges zu seiner Person und seinem eher außergewöhnlichen Lebenslauf. Nach seinem Abitur schloss er seine Ausbildung zum Rettungssanitäter ab, studierte Gesundheitswissenschaften und jetzt kommt’s: Er hängt noch ein Theologiestudium hinten dran. Mit jungen 34 Jahren wurde Dr. Witzel zum Chefarzt ernannt und leitet heute das „Minimal Invasiv Center“, eine Privatklinik in Hünfeld.

Am Anfang sei es seltsam für ihn gewesen, nachts um 2 Uhr in den OP gerufen zu werden und älteren, viel erfahreneren Oberärzten am OP-Tisch zu helfen, als sie nicht weiterwussten. Doch so ist das mit den Hierarchien im Krankenhaus nun mal. Der Chefarzt hatte sich das alles ein bisschen leichter vorgestellt: Vom Rettungssanitäter zum Chefarzt – Jetzt muss man doch alles erreicht haben, was man sich immer vorgestellt hat. Doch, so sagt Witzel, seien die meisten Ärzte in ihrem Positionen nie vollkommen zufrieden. Viele würden glauben, dass weiter oben in der Hierarchie alles besser ist. Allerdings hätten die meisten Ärzte auch dort oben immer etwas auszusetzen. Eine weitere Problematik stelle der steigende Kostendruck in Kliniken und somit auch bei den Ärzten dar. Laut Dr. Witzel würden Patienten bestimmte Therapien häufig aus rein wirtschaftlichen Gründen erhalten. Der Arzt erklärte diese Problematik anhand eines realen Beispiels: Einer Patientin mit Leistenbruch wurde geraten, sich operieren zu lassen. Danach hätte sie sich ca. 4 Wochen von der OP erholen müssen, sagte Dr. Witzel. Eine Alternative wäre gewesen, sich einfach 4 Wochen auszukurieren. Die operierte Patientin sei überglücklich gewesen, dass der Arzt einen so guten Job gemacht hat, da sie danach keine Schmerzen mehr hatte. Der Patientin sei ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen zu dieser OP geraten worden, beteuerte Witzel. So wie dieser Patientin gehe es vielen anderen auch. Oft stehe das Streben nach Profit über dem Wohl der Patienten.

Dabei stünden sich auch immer wieder Meinungen von Ärzten einander gegenüber. Doch was ist die Wahrheit? Was wollen wir machen? Was sollten wir machen. Ethische Fragestellungen, die sich Ärzte immer wieder im alltäglichen Handeln stellen. Auch real wirkende Krankenhausserien würden eine weitere Problematik darstellen. Wer häufig Krankenhaus- und Arztserien sieht, habe mehr Angst vor einem Klinikaufenthalt und sei unzufriedener, wie dort Visiten ablaufen. Dazu führte Dr. Witzel eine Studie durch, in der er 162 Patienten zu ihren Fernsehgewohnheiten und ihrer Angst vor Operationen befragte. Dabei war das Ergebnis eindeutig: Patienten, die häufig Arztserien sehen, sind ängstlicher vor Operationen und unzufriedener mit der Visite.

Während seines Vortrags nahm Dr. Witzel immer wieder Bezug auf die Themenfelder Lebensfang, -mitte und -ende. Immer wieder begegnen uns ethische Dilemma-Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen, was zu tun ist. So auch bei Ärzten. Immer wieder werde Entscheidungen gefällt, die einem nicht leicht fallen. Wichtig sei vor allem die Verantwortungsübernahme. Ärzte haben gegenüber ihren Patienten eine Fürsorgepflicht, bei der sie ihren Patienten in schwierigen Situationen mit allen Mittel beiseite stehen und helfen wollen. Keine leichte Aufgabe. So erklärte Dr. Witzel, da kein Arzt während seines Studiums darauf vorbereitet wird, wie man zum Beispiel eine schlechte Diagnose schonend und einfühlsam kommuniziert. Es lege immer an der Person selbst so etwas zu können, oder eben leider nicht. Während einer Doppelstunde schaffte es Dr. Witzel den umfangreichen Bereich der Medizinethik aus Ärztesicht praxisnah auszugestalten. Vor allem seine unverblümte und ehrliche Sicht zeichnete seinen spannenden Vortrag aus. Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich begeistert über das große Engagement von Dr. Witzel und gingen mit vielen neuen Erkenntnissen, die zum Nach- und Weiterdenken anregten, nach Hause.

Dies wird garantiert nicht der einzige Besuch gewesen sein. Eine enge Kooperation wird als fester Bestandteil des Ethikunterrichts im Vordergrund stehen, um solch anregende Vorträge und Diskussionen auch zukünftig zu ermöglichen.

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